Nach der politischen Wende 1989 war der Niedergang der Görlitzer
Textilbetriebe nicht mehr aufzuhalten und tausende Textilfachleute,
hauptsächlich Frauen, verloren ihre Arbeit.
Hoffnungszeichen
für die Region - Textilindustrie kehrt
zurück
In dieser Zeit überzeugten 2 Manager der US-amerikanischen Firma Malden
Mills Inc., Lawrence, Massachusetts, nach langer europaweiter Standortsuche
ihren Arbeitgeber, in Görlitz ein Tochterunternehmen in Eigenregie zu gründen.
Die umfassende Förderung von Industrieansiedlungen durch die EU und den
Freistaat Sachsen, sowie das Vorhandensein von gut ausgebildeten Fachkräften
gaben wohl den Ausschlag für die Wahl des Standortes im Gewerbegebiet Ebersbach
nördlich von Görlitz. Am 23.01.1995 wurde die „Görlitz Fleece GmbH“ gegründet.
Die Geschäftsführung übernahmen Mr. Fernandes und Mr. Bowe als Gesellschafter
selbst.
Mit dem Abschluss eines Lizenz- und Exclusivabnahmevertrages mit einer
Laufzeit von 20 Jahren am 12.06.1995 mit Malden Mills Industries Inc. wurden
beste Voraussetzungen für eine stabile Produktion geschaffen.
Von Juli 1995 bis Juni 1998 wurde mit etwa 50 Millionen Euro ein modern
ausgerüsteter Betrieb errichtet. Es entstand eine Produktionsfläche von 25 000 m². Die etwa 200 einzustellenden überwiegend
Textilfacharbeiterinnen wurden, organisiert durch das Arbeitsamt, durch eine
Qualifizierungsgesellschaft in die spezifischen Anforderungen der
Fleece-Herstellung eingewiesen und trainiert.
Die Vision, in Europa eine Textilfabrik zur Herstellung von „Polartec“,
der weltweit führenden Hochleistungsfleece-Marke für sportliche
Outdoor-Bekleidung zu errichten, konnte so realisiert werden.
Was ist
„Polartec“?
Polartec ist eine Familie von über 100 Stoffen. Es sind High-Tech-Produkte
mit herausragenden klimaregulierenden Eigenschaften vor allem für Aktivitäten
im Freien.
Hersteller wetterfester Sportbekleidung kaufen die Polartec-Stoffe von
Malden Mills und fertigen daraus erstklassige Aktivbekleidung für jeden Sport.
Bei Polartec-Stoffen handelt es sich um Strickpolyester, das manchmal
mit anderen Fasern, wie z.B. Lycra, Baumwolle, Wolle, Nylon und Rayon
kombiniert wird, um damit bestimmte Eigenschaften zu erhalten. Bevor dieses
Gestrick die Fabrik verlässt wird es gefärbt, gerauht, geschoren, thermofixiert
und zuletzt auf Fehler geprüft.
Die Produktion
beginnt
Schon während der Bauphase im Februar 1996 wurde mit der Montage der
ersten Produktionsausrüstungen begonnen. Das war auch notwendig, weil der
Veredelungsbetieb von Malden Mills Industries Inc. in den USA im Dezember 1995
durch einen Brand zerstört worden war und dadurch die europäischen Kunden nicht
beliefert werden konnten. Görlitz Fleece musste also so schnell wie möglich und
schneller als geplant die Produktion aufnehmen, um mit Polartec-Produkten in
der vom Kunden erwarteten Qualität auf dem Markt präsent zu sein, bevor die
Konkurrenz das zum Ausbau ihrer Marktposition ausnutzen konnte.
So ging bereits Anfang April 1996 die erste durchgängige
Produktionslinie der Appretur in Betrieb. Es folgten bis August die
Nassappretur, Strickerei und die Färberei. Schrittweise wurde der
3-Schichtbetrieb eingeführt. Kontinuierlich wurden weitere
Produktions-ausrüstungen zur Steigerung der Fertigungskapazität installiert und
parallel dazu das Polartec-Sortiment erweitert.
Während die Produktion im April 1996 mit 5 Artikeln gestartet wurde und
im gleichen Geschäftsjahr 1,8 Mio m Ware hergestellt wurde, waren Ende 1999
bereits 46 Artikel in 6 Artikelserien in ca. 1100 Farben lieferbar und die
Produktionsmenge betrug bereits 5,5 Mio m. Die installierten
Fertigungskapazitäten ermöglichten mit Blick auf zukünftige Marktzuwächse
bereits eine Jahresproduktion von 9 Mio m „Polartec“. Geplant war eine
Mitarbeiterzahl von etwa 400.
Die Qualität
stimmt
Die in Görlitz produzierten Polartec-Artikel waren den Produkten des
Lizenzgebers qualitativ mindestens gleichwertig, denn der Anteil 2.Qualität an
der Gesamtproduktion lag bei Görlitz Fleece stets niedriger. Ausdruck für die hervorragende Qualität der
Polartec-Produkte von Görlitz Fleece war auch die Verleihung des Öko-Tex
100-Zertifikates im Jahr1997, das die humantoxikologische Unbedenklichkeit
bescheinigt und das weltweit
verbreitetste Gütezeichen für Textilien ist. Damit konnte das Unternehmen seine
Marktführerschaft bei den europäischen
Fleece-Produkten unterstreichen.
1998 war die Görlitz Fleece GmbH weltweit der einzige Fleece-Produzent,
der ein zertifiziertes Qualitätsmanagement-System vorweisen konnte.
Die Gründer
ziehen sich zurück – Umbruch zur Jahrtausendwende
Ende 1998 sind die Anteile der Görlitz Fleece GmbH an die Malden Mills
Industries Inc. übergegangen.
Die Gründer und geschäftsführenden Gesellschafter, Mr. Fernandes
(verabschiedete sich in den Ruhestand) und Mr. Bowe (übernahm eine leitende
Stellung bei der Mutterfirma), zogen sich bis Ende 1999 schrittweise aus dem
Tagesgeschäft zurück und übertrugen das operative Management an ein
Übergangsteam. Das Jahr 2000 wurde mit einer Jahresproduktion von 6,5 Mio m
Hochleistungsfleece zum besten Geschäftsjahr in der Geschichte von Görlitz
Fleece.
Im September wählte die Belegschaft ihren ersten Betriebsrat.
Im Dezember 2001 übernahmen zwei Betriebsleiter das operative
Management bei Görlitz Fleece.
Die
Mutterfirma strauchelt
Am 29.11.2001 beantragte Malden Mills Industries Inc. in den USA
Insolvenz. Das Verfahren endete im Oktober 2003. Schrittweise wurde ein neues
Management bei Malden Mills Industries Inc. installiert.
Wegen ausbleibender Zahlungen der Mutterfirma und daraus resultierender
Zahlungsunfähigkeit musste auch die Görlitz Fleece GmbH am 07.10.2004 beim
Amtsgericht Dresden einen Insolvenzantrag stellen. Die Fleeceproduktion konnte
vorerst weitergeführt werden. Auf Grund der allgemeinen Konjunkturflaute gelang
dem Unternehmen jedoch nur der Absatz von 3,5 Mio m Fleece-Stoff statt
geplanter 5 Mio m. Auch mit Kurzarbeit konnte der Einbruch nicht abgefangen
werden. Am 01.12.2004 wurde das Insolvenzverfahren eröffnet und der
Personalbestand von 275 auf 95 Mitarbeiter reduziert in der Hoffnung auf einen
Verkauf und die Weiterführung der Firma. Am 31.08.2005 musste die
Fleeceproduktion beendet werden.
Die Bemühungen des Insolvenzverwalters zum Verkauf zeigten keinen
Erfolg und so endete die Geschäftstätigkeit der Görlitz Fleece GmbH am
30.09.2005.
Seit 2007 nutzt die Firma B&S paletten24 GmbH die Hallen zur
Herstellung und Aufarbeitung von Transportpaletten aus Holz. Ab 2009 zieht in
den ehemaligen Görlitz Fleece-Standort die Firma Alsa, ein Zulieferbetrieb des
Schuhherstellers Birkenstock, ein.
Literatur:
Wagner, Klaus (1999). Von der Vision zur Wirklichkeit. Chronik der
Görlitz Fleece GmbH 1994-1999
Seibel, Frank. Kalte Füsse trotz Polartec. Sächsische
Zeitung, 9.10.2004 (Wirtschftsteil)
"Polartec. Der Stoff ist cool " Werbeflyer von Malden Mills
Industries Inc. z 1994 r.
© 2008/2009 Projektgruppe "TuchText" Görlitz (www.tuchtext.de)